
4-Tage-Woche, ich komme!
„Ich arbeite jetzt in Teilzeit!“ – „Aber warum?!?“ – Diese Frage eines völlig fassungslosen Kollegen hat mich dazu inspiriert über die Entscheidung und Motivation meines diesjährigen Abenteuers zu schreiben. Wie kommt jemand, der keine Kinder hat, keine Angehörigen pflegt und dazu noch in einem traditionellen Familienunternehmen, in der Rolle einer Führungskraft arbeitet, bitte auf die Idee einen Teilzeit-Antrag zu stellen?
„Mehr Fokus, neue Impulse und ein erweiterter Raum für Reflexion und Weiterentwicklung als Gewinn für meinen Arbeitgeber, mein Team und mich persönlich.“
Bis zu dieser Ziel-Formulierung – ja, bis zur grundsätzlichen Entscheidung für die 4-Tage-Woche und dem aufgebrachten Mut diesen Antrag auch tatsächlich abzugeben, war ich auf der Suche. Einer Suche nach Sinn, nach Begeisterung und Freude, nach neuen Zielen und Herzensthemen, nach Veränderung…
Endstation – bitte Aussteigen?
Anfang letzten Jahres steckte ich fest. Ein paar organisatorische Änderungen hatten mich eiskalt erwischt und statt mir konstruktive Gedanken über den Umgang damit zu machen, habe ich lieber erstmal geschmollt. Auch die Strategie für die Abteilung, die ich zwei Jahre zuvor übernommen hatte, war grundsätzlich erfolgreich in der Umsetzung und die Veränderungen hatten sich soweit auch eingegroovt – brauchen die mich überhaupt
noch? >> Endstation! <<, höhnte die Pessimistin in mir. Und sagen wir mal so: da sie in meinem Leben nicht oft zu Wort kommt, hat sie diese Chance direkt genutzt besonders theatralisch aufzutreten…
Hinzukam, dass bei meinen Lieblingsmenschen und Sparringspartnern parallel die Post abging: neue Jobs, neue persönliche Projekte, neue Lebensmodelle. Selbstverständlich habe ich das mit ihnen neidlos gefeiert!! Aber auch den Spiegel erkannt: >> Diese Begeisterung und Freude will ich auch wieder! <<, meldete sich (Gott sei Dank endlich) auch wieder die Optimistin in mir.
Also habe ich versucht mir neue Themen an Land zu ziehen. Aber alles, was ich angefasst und probiert habe, wollte einfach nicht Zünden… Bei meinem damaligen Mindset und der frustrierten Grundstimmung auch keine Überraschung, oder?
Wenn der Funke überspringt
Mitten in meiner Suche nach dem richtigen „Anschlusszug“ traf ich endlich mal wieder die großartige Katharina Krentz zum Abendessen, die leider mehrere hundert Kilometer entfernt in meiner alten Heimat lebt. Mit Herzblut treibt sie ihre Themen in den Bereichen NewWork und Collaboration voran und ist damit sehr erfolgreich. Und ihre Begeisterung und positive Energie sind einfach immer total ansteckend!
Von Katha inspiriert landete ich also zwei Wochen später auf dem Working-Out-Loud-Meetup in Köln (#WOL0221). Vielleicht würde mir ja ein WOL-Circle weiterhelfen!? Doch dieses Meetup bot mir noch so viel mehr an wertvollem Input – weit über WOL hinaus (an dieser Stelle vielen, vielen, lieben Dank an die Organisatoren dieses tollen Abends!!). Völlig fasziniert füllte ich, neben den Infos zu WOL, mein Notizbuch mit lauter neuen Begriffen und Gedanken, die ich aus den Key Notes von Holger Gelhausen und Sebastian Kolberg sowie von meiner Arbeitsgruppe in den praktischen Übungen aufschnappte: Ratlosigkeit als Chance, Vertrauensnetzwerke, wie komplexe Welten Skills verändern, wie Onlinepräsenz helfen kann,…
Die anschließende Recherche dazu war dann die Initialzündung, auf die ich schon so lange gehofft hatte! Meine intrinsische Motivation kochte im wahrsten Sinne des Wortes über: je mehr Artikel ich las, je mehr Podcasts ich
hörte, desto mehr faszinierte, fesselte und begeisterte mich dieser Themenbereich. Und desto mehr Zeit investierte ich! All die Anknüpfungspunkte zu meinem Leben und Arbeiten lagen auf der Hand: Lebenslanges Lernen, New Leadership, Methoden für die Zusammenarbeit, Fit für die Digitalisierung, … Endlich!!!
Doch je mehr ich mich damit beschäftige, desto länger wurde auch mein Backlog… Die Bücherliste wuchs, die Linksammlung quoll über, die Podcasts sammelten sich ungehört im Downloadbereich und Meetups füllten meinen Kalender bis zum Rand – einfach zu viel für (m)ein Leben! Und zu diesem Zeitpunkt war ich weder aktiv bei Twitter unterwegs, noch hatte ich meinen WOL-Circle gefunden, was fest eingeplant war. Allein mit diesen beiden Themen würde einhergehen, dass sich mein Backlog noch mal „ver-x-fachen“ würde…
Kreativpause in Südfrankreich
Neben dem, für mich neu entdeckten, Themengebiet NewWork, hatte ich mir auch viele Gedanken über mich selbst gemacht: Wer bin ich? Wo stehe ich? Wo will ich hin? Was und wie will ich arbeiten? Schließlich hat das Leben so viel mehr zu bieten und wer will schon in Endstation-Mood verharren? Und so war, pünktlich zum Sommerurlaub, noch offen: und wie komme ich da nun hin?
So saß ich also in Südfrankreich unter meinem Sonnenschirm, hörte pausenlos Podcasts dazu, wie man seinen Traum lebt und dachte beim Blick in die Wolken ununterbrochen darüber nach, was meine nächsten Schritte sein könnten… Von Sabbatical, über Master-Studium, bis Kündigung im Eat-Pray-Love-Style (in meinem Fall mit NewWork-Abwandlung) war alles dabei. Aber nichts davon fühlte sich richtig an… „Wäre cool, wenn Du einfach Stunden reduzieren könntest“ klang es eines Nachmittags bei einer Diskussion über meine Gedanken aus der Richtung des Pools, in der mein Liebster seine Bahnen schwamm. Was hat er da gerade gesagt?!? Himmel, ich liebe diese Momente! Wenn Deine Welt durch die Ausschüttung an Glückshormonen ein paar Sekunden stehen bleibt und Du vor Freude hüpfen willst, weil es sich anfühlt, als hättest Du gerade im Lotto gewonnen!
Wie cool wäre das denn: einen Tag die Woche zum Lernen, Lesen, Reflektieren, Podcast hören. Und das an über 40 Tagen im Jahr – was steckt da für ein Potential für neue Impulse, neues Wissen und Wachstum drin!!
Geht das überhaupt?
Doch was ist mit meinem Team? Beißt sich das mit meiner Rolle? Wird meine tägliche Anwesen- und/oder Erreichbarkeit gebraucht? Passt das zu meinem Führungsverständnis? Klar wünsche ich mir, dass mein Team die Herausforderungen zunächst versucht selbst zu lösen, aber bisher war ich immer da, um im Falle eines Falles zu unterstützen – kann ich mich da jetzt einfach einen Tag pro Woche ausklinken?
Und welche Themen, auch in Richtung meiner Vorgesetzten, sprechen dagegen weniger zu arbeiten? Gibt es überhaupt welche? Schließlich arbeite ich in einem relativ ruhigen Fahrwasser, was Eskalationen oder kurzfriste Anfragen / Reportings angeht – ob mein Chef das auch so sieht? Oh Himmel, und was ist mit der Außenwirkung? Sieht das so aus, als hätten wir Langeweile? Ala bei „Doku & Training“ brauchen die nicht mal mehr ’ne Vollzeit-Chefin? Oder erkennt man, dass wir mittlerweile so gut aufgestellt sind, dass gerade bei mir dadurch ein bisschen Kapazität freigeworden ist? Aber ist das auch wirklich (immer) so? Schließlich gibt es auch jede Menge Tage und Wochen, an denen ich nicht rumkomme – wie mache ich das dann mit nur vier Tagen in solchen Zeiten? Ich will natürlich auf keinen Fall, dass mir meine Themen und Projekte in der Firma abrauchen… Oder sich mein Team im Stich gelassen fühlt… Wie sehen eigentlich meine Tage im Detail aus? Mit was beschäftige ich mich den ganzen Tag? Für was geht wie viel Zeit drauf? Kann ich das optimieren? Welche Regeln, welches Framework könnte mir da vielleicht helfen?
Entschieden!
Neben all den persönlichen Fragen, musste natürlich auch der Rahmen geklärt werden. Was ich bis dato nicht kannte war das Recht auf Teilzeit, sofern das Unternehmen groß genug ist und keine betrieblichen Gründe
dagegensprechen, sowie die befriste Teilzeit, die letztes Jahr noch relativ neu war. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber anmerken, dass es mir persönlich widerstrebt hier von „meinem Recht“ zu sprechen, denn ich empfinde das, was ich tun darf als Geschenk!
Nichtsdestotrotz war diese Befristungsmöglichkeit am Ende nochmal ein wichtiger Impuls. Denn das schafft die Möglichkeit, dass alle Parteien das neue Modell quasi „mit Sicherheitsnetz“ ausprobieren können: mein Arbeitgeber, mein Team und ich. Erstmal für eine festgelegte Zeit und dann sehen wir weiter.
Wie großartig wäre das bitte: gemeinsam für ein Jahr testen zu können, ob das Modell für uns fliegt und wirklich ein Gewinn sein kann? Und ist das nicht auch ein Teil, der Neues Arbeiten ausmacht? Einfach mal zu machen
– könnte ja gut werden? Wenn ich alle Beteiligten aktiv in mein Abenteuer mit einbeziehe, also mein Team und meinen Chef, und wir regelmäßig zusammen darauf kucken: was klappt gut, was nicht so, was können wir verändern? Dann hat das doch echtes Potential für Win-Win-Win!
Ready for Take-off…
Und so formulierte ich meine Erwartungen und Wünsche, meine Ziele und Hoffnung für 2020:
Die 4-Tage-Woche wird
meinen Fokus erhöhen und damit u.a. auch meine Effizienz steigern.
meinem Team die Möglichkeit zu mehr Selbstverantwortung geben.
neue Impulse in unseren Arbeitsalltag bringen – mit dem Potential für ein innovativeres Arbeitsklima im Team.
Zudem werden wir gemeinsam viel reflektierter miteinander umgehen, arbeiten und an diesem Abenteuer wachsen.
Auf dieser Basis habe ich dann den Antrag abgegeben – mit Befristung auf erstmal ein Jahr für den Testlauf. Ein bisschen Mut hat mich das, gerade in meinem traditionellen und klassischen Unternehmensumfeld, schon gekostet…
Doch der wurde postwendend belohnt: der Antrag wurde bereits im letzten Herbst genehmigt! Bis heute feiere ich meine Vorgesetzten für diese Unterschrift und meinen Arbeitgeber dafür, mir das zu ermöglichen! Von wegen Endstation – ich darf so viel lernen und wachsen! Einen größeren und nachhaltigeren Stellhebel für meine Motivation und Begeisterung hätte man für mich nicht finden können. Zudem bin ich sehr dankbar für diese Chance und das Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten. Es fühlt sich wirklich gut an, wenn Vertrauen gelebt wird! Neben aller Euphorie, bin ich jedoch auch sehr demütig, denn ich möchte dieses Abenteuer zum Erfolg machen und zeigen, dass neue Wege zu gehen und neue Modelle auszuprobieren ein Gewinn für alle ist!
Also drückt mir bitte ganz doll die Daumen für mein Abenteuer!
Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay


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