4-Tage-Woche,  Auf der Suche,  Bewusster leben,  Führen in Teilzeit,  Lessons Learned

Über die Alternative (dank) Teilzeit

Genau ein Jahr ist es jetzt her, dass ich die Entscheidung getroffen habe zukünftig in Teilzeit arbeiten zu wollen. Und inmitten meiner heutigen Projekte und Themen, die vor allem Dank meines neuen Arbeitsmodells möglich sind, blicke ich zurück auf meine damalige Suche: ich brauchte dringend was Neues, ein Herzensthema, etwas das mich begeistert und mehr Sinn in mein Leben bringt. Nicht ganz einfach, wenn man dabei im eigenen Frustsumpf feststeckt. Warum ich heute total dankbar dafür bin, diesen Weg für mich gefunden zu haben, statt einen radikalen Schnitt zu machen, möchte ich in diesem Beitrag teilen.

Verlockende Freiheit?

Kennst Du dieses Gefühl der staunenden Bewunderung mit einer kleinen Prise Neid, wenn Du die inspirierenden Geschichten mutiger Aussteiger hörst? Die, die einfach kündigen, obwohl sie noch keinen neuen Job haben oder vielleicht sogar noch gar nicht wissen, was als Nächstes kommt? Die, die in die Welt hinausziehen, Abenteuer erleben, einem tieferen Sinn folgen oder hier vor der Haustüre einen sicheren Ingenieursjob gegen ein DJ-Experiment tauschen, weil sie davon schon immer geträumt haben?

Also warum nicht auch einfach kündigen, um endlich einen Schritt weiterzukommen? In meinem Kopf entstanden phantastische Sabbatical-Traumschlösser rund um die Themen, die ich neu für mich entdeckt hatte: eine New Work Abwandlung von Eat-Pray-Love – neue Arbeitswelten rund um den Globus kennenlernen. Vielleicht doch noch ein Master-Studium, diesmal mehr Mensch als Technik. Oder den (ich gebe zu: fast schon abgedroschenen) Traum vom eigenen Buch mal angehen?

Aber nichts davon fühlte sich richtig an… Und was würde aus den Rentenpunkten werden – spießig, aber doch schon auch wichtig, oder? Was, wenn tatsächlich bald die Krise kommt, die die Wirtschaftsressorts der Medienlandschaft am Horizont sehen und es danach kein Zurück mehr gibt? Und wie erklär ich’s meinen Eltern – lustigerweise eine tatsächlich auch mit Mitte Dreißig nicht zu vernachlässigende Frage! Auch wenn ich heute, mitten in der Corona-Zeit, von Herzen über mich selbst lachen muss, denn bei allen Worst-Case-Betrachtungen habe ich a-l-l-e-s, nur eben keine weltweite Pandemie berücksichtigt, bin ich davon überzeugt, dass es wirklich wichtig war auf mein Gefühl, in Form all dieser Sorgen, zu hören und es nicht einfach abzutun.

Da hilft nur ehrlich zu sich selbst sein!

Auch wenn ich mich mit meinen Ängsten sehr ernsthaft auseinandergesetzt habe und darüber viel mit Freunden und Familie diskutiert habe, endete das oft mit dem schalen Gefühl eben ein Angsthase zu sein. Gehört so ein Abenteuer heute nicht irgendwie schon in die Vita bzw. zur persönlichen Weiterentwicklung? Und natürlich gibt es auf all meine Fragen schlüssige Antworten, Tipps von erfolgreichen Aussteigern, denen das richtig was gebracht hat, sogar motivierende Postkarten dazu sind in verschiedenen Ausführungen erwerbbar und den Punkt mit meinen Eltern konnte ich in einem offenen Gespräch auch ganz easy klären.

Aber ich habe auch verstanden, dass meine Bedenken Ausdruck von etwas sind: von meinem  Sicherheitsbedürfnis. Und daran kann einfach kein Trend, keine provokante Frage eines Coachs, keine Diskussion, was ich von meiner gesetzlichen Rente – selbst beim „Durcharbeiten“ – zu erwarten habe, irgendetwas ändern. Wenn sich etwas nicht gut anfühlt – selbst, wenn es sich hinter hundert, gefühlt total albernen Fragen versteckt, lohnt es sich innezuhalten und nachforschen.

Ich bin froh, dass ich genau hingeschaut habe, hinterfragt habe was die Ursache ist, meine aufgestellte These „Sicherheit“ nochmal auf den Prüfstand gestellt habe, um dann zu akzeptieren, dass ich eben ich bin und das schon so in Ordnung ist.

Es muss nicht der radikale Schnitt sein

Was bei all den großartigen Geschichten radikaler Schnitte und Wendungen, die ich nach wie vor total bewundere, leicht in Vergessenheit gerät, ist dass es auch immer einen (oder mehrere) Mittelweg(e) gibt und schon kleine Veränderungen Großes bewirken können.

Wenn ich sehe, was bei mir ein freier Tag die Woche zum Lernen, Netzwerken und für meine Herzensthemen, in Kombination mit einem völlig neuen Arbeitsgefühl (mehr dazu hier) verändert hat, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Wahnsinn, was im letzten Jahr alles passiert ist! Was ich gelernt habe – über verschiedene Inhalte und vor allem über mich selbst, für welche Themen ich stehe und mit welchen ich sichtbar sein möchte. Und dabei bin ich auf dieser Reise persönlich immer weiter gewachsen – auch über mich selbst hinaus, denn ich habe hierbei oft meine Komfortzone verlassen (sei es mit dem Abgeben des Teilzeitantrags als Führungskraft oder mit der Sichtbarkeit im Netz). Aber: eben in einem Maß, das zu mir passt, mir entspricht.

Deswegen möchte ich Anderen, die vielleicht – wie ich – nicht der Typ für die „krassen Nummern“ sind, Mut machen ihren Blickwinkel zu erweitern: es gibt so viele Möglichkeiten und Optionen das Leben, das Arbeiten zu verändern. Es kann, muss aber nicht direkt die Kündigung, die 180° Grad Wende oder ein Ausstieg sein. Man hat selbst in der Hand, wie weit man sich vorwagen möchte, und dabei ist der Gestaltungsspielraum meist größer als man denkt.

Ich bin meinen Chefs und dem Unternehmen für das ich arbeite, wahnsinnig dankbar für die Chance dieses Modell ausprobieren und leben zu dürfen. Eins, was mich am Ende natürlich auch zu einer begeisterteren und zufriedeneren Mitarbeiterin voller neuer Ideen und Impulse macht. Aber: Ich darf wachsen, bekomme den Rahmen dafür und das ist einfach großartig!

Und das ist in der heutigen Arbeitswelt leider immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass Teilzeit als Führungskraft möglich ist. Auch wenn Teilzeitmodelle nicht nur Vorteile haben (verschiedene Perspektiven dazu sammelt übrigens gerade die Blogparade Teilzeit), hoffe ich, dass Geschichten wie meine zeigen, dass wir Arbeitsmodelle neu denken sollten, denn Mitarbeiterzufriedenheit und -weiterentwicklung verbessert nicht nur die Leistung, sondern hat auch das Potential Mitarbeiter:innen mittel- und langfristig für das Unternehmen zu gewinnen.

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