Führen in Teilzeit,  Lessons Learned,  Team,  Virtuelle Zusammenarbeit

Führungsherausforderung: Teilzeit trifft Remote

Dass 2020 ein Jahr voller neuer Führungsherausforderungen für mich werden würde, wusste ich bereits als ich meine Teilzeit-Idee mit meinem Chef besprach. Das hatte ich mir gut überlegt: Einen Tag die Woche weniger zu arbeiten würde zwar ohne Frage sportlich, aber organisierbar werden. Doch wer konnte ahnen, dass eine Pandemie, noch in der ersten Lessons Learned Phase, den Schwierigkeitsgrad erhöhen würde: Willkommen bei 100% Remote – in Teilzeit!

Mit meinem Teilzeit-Experiment möchte ich mir zum einen persönlich mehr Raum zum Lernen und Wachsen schaffen sowie dabei zeigen, dass erfolgreiche Führung nichts mit Stundenkonten und Dauer-Präsenz zu tun hat; dass es ein Win-Win für alle Beteiligten ist. So ist mein Ziel in der und durch die 4-Tage-Woche meinen Fokus zu erhöhen und damit u.a. auch meine Effizienz zu steigern, meinem Team die Möglichkeit zu mehr Selbstverantwortung zu geben sowie neue Impulse in unseren Arbeitsalltag zu bringen. Und ich wünsche mir, dass wir gemeinsam viel reflektierter miteinander umgehen und arbeiten.

Wie diese Ziele und 100% Home Office zusammenspielen, was ich dabei gelernt habe und warum ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass dieses Modell nicht nur möglich, sondern gewinnbringend ist, möchte ich im Rahmen der Blogparade #remoteworks teilen.

Knall auf Fall ins Home Office

Was für eine Ironie: in einer meiner ersten Teilzeit-Retros stellte ich fest, dass mir – gerade für Aufgaben im Bereich Planung und Strategie – mein konzentrierter und fokussierter Home Office Tag fehlte. Den hatte ich mir selbst gestrichen, um den Abwesenheitsbogen am Anfang nicht zu überspannen… Und dann, keine sechs Wochen später fand ich mich eben dort wieder – dauerhaft! Genau wie mein gesamtes Team, das dafür teilweise sogar mit Tower-PCs umzog (CAD-Programm) oder überhaupt zum ersten Mal von zuhause arbeitete.

Damit startete arbeitstechnisch, ungeplant ein weiteres Abenteuer und wir machten uns gemeinsam auf eine Entdeckungstour, was in unserer neuen Arbeitssituation für und zu uns passt! Dass wir alle von zuhause arbeiten konnten und durften, keiner mehr „raus“ musste, gab mir dabei ein sicheres Gefühl, was den Gesundheitsaspekt betraf – ein Geschenk! Und so konnten wir uns, gerade in den unsicheren, ersten #StayHome Wochen, auf unsere neue, virtuelle Zusammenarbeit sowie den Start im Home Office konzentrieren.

Fokus erhöht?

In den letzten Wochen habe ich wahnsinnig viel über Fokus gelernt. Um diesen zu erhöhen war 100% Remote die perfekte Übung. Zum einen zwar den Überblick zu behalten: Was ist neu (Situation), was bleibt (Backlog), aber auch was verändert sich? Um dann bewusst zu entscheiden: Was davon muss im Fokus stehen? Und gilt heute noch was gestern galt?

Und so packte ich meine eigenen, geplanten Themen erstmal zur Seite bzw. in die Abendstunden, denn nun war entscheidend im Team und für den Einzelnen zu klären: Was unterscheidet Arbeit im Büro und Home Office? Was ist wichtig zu wissen – vom Arbeitsplatz über die sagenumwobene Jogginghose bis hin zur Planung regelmäßiger Pausen? Wer im Team lebt gerade in welcher Situation und welche Auswirkungen hat das – Räume und Ausstattung, Kinder und Partner? Wer hat welche Sorgen und vor allem welche Bedürfnisse? Was fehlt, um erfolgreich arbeiten zu können? Passt die Tischhöhe für den Rücken und stehen genug Monitore zur Verfügung? Wie wollen wir zusammenarbeiten? Was ist die beste Abstimmung über die zur Verfügung stehenden Tools?

Auch nachdem der Start geglückt war, blieb mein Fokus vermehrt auf Zwischenmenschlichem, was virtuell nochmal herausfordernder ist, finde ich. Wie sind Konflikte auf Distanz zu erkennen, einzuschätzen und zu lösen? Sie brechen durch die verrücktesten Missverständnisse unerwartet aus, brodeln vielleicht ungesehen unter der Oberfläche oder werden offiziell beigelegt, aber der Frieden trügt. Auch für Hidden Agendas herrschen gerade beste Wachstumsbedingungen. Was mir dabei sehr fehlt sind der persönliche Austausch, direkter Augenkontakt, das vertraute Gespräch und die damit verknüpfte eigene Sicherheit, besser einschätzen zu können, wie es dem Gegenüber wirklich geht. Mir fehlen Körperhaltung sowie die „Schwingungen“ der jeweiligen Tagesform zum Gesamtbild. In einem virtuellen Daily ist es schwer zu erfassen, ob es wirklich allen gut geht. Im persönlichen Gespräch merke ich das eher und kann mir überlegen, ob ich nachfragen oder abwarten möchte. Da habe ich Erfahrung – digital übe ich das noch…

Da ich die persönlichen 1:1 Abstimmungen auch im Büro individuell gestalte, konnte ich hier nicht pauschal digitalisieren. Also ausprobieren, was in der „neuen Welt“ am besten für wen im Team funktioniert. Unter den Rahmenbedingungen nicht ganz einfach, denn es gilt dabei auch viel zu volle Kalender, einen stetig wachsenden Backlog sowie die Keine-Überstunden-im-Home-Office-Regelung zu beachten.

…und damit u.a. auch meine Effizienz gesteigert?

Zuhören, Fragen stellen, Angebote machen – ich kann mich nicht erinnern jemals so viel Zeit in Terminen verbracht zu haben, jemals so pausenlos kommuniziert zu haben: viereckige Augen und lange Tage garantiert! Und obendrauf wollen auch noch die Emailflut, eigene Projekte und „Corona-Sonderthemen“ bearbeitet werden… Ich glaube, ich habe mich noch nie so wenig effizient gefühlt wie in den Anfängen der Remote-Zeit. Die Tage vergingen wie im Flug und die Wochen nur so ins Land. Hinzukam, dass ausschließlich digital zu arbeiten super anstrengend ist und ich zu Feierabend einfach nur platt war. Manchmal auch von dem unguten Gefühl geplagt am nächsten Tag frei zu haben, während es doch eigentlich so viel tun gibt. Und vor allem: Von was fühlte ich mich so erledigt? Was hatte ich eigentlich den ganzen Tag getan? Was und wo war mein Ergebnis?

Hier half es mir meine Perspektive zu hinterfragen. Mir nochmal darüber klar zu werden, dass in meinem Job mein Team und somit Menschen im Mittelpunkt stehen. Dass zu meiner Verantwortung gehört die benötigten Rahmenbedingungen zu schaffen (zumindest soweit ich sie beeinflussen kann), damit alle ihr Bestes geben können. Darauf hatte ich meinen Fokus gesetzt und hier habe ich viel von meiner Zeit eingebracht, was auch definitiv die richtige Entscheidung war! Doch dabei ist das Ergebnis kein fertiger Foliensatz oder das abgegebene Konzept, sondern dass es bei uns erfolgreich (weiter) läuft – gerade in herausfordernden Zeiten! Diese Erkenntnis ist eins meiner persönlichen Learnings: Wirksamkeit kann nicht immer nur mit Hard Facts bewertet werden – auch wenn wir darauf im Leben und vor allem im Job konditioniert worden sind.

Möglichkeit zu mehr Selbstverantwortung im Team?

Definitiv! Hier ist das Home Office absoluter Booster, denn alleine zuhause ist jede:r auf sich gestellt und „muss“ diese Verantwortung übernehmen. Auch wenn ich es als Teil meiner Rolle sehe, Impulse zu geben, Angebote zu machen und Ideen zu teilen, ist am Ende jede:r selbst gefragt, sich davon das Passende rauszusuchen, aktiv zu werden und sich selbst sowie den Tag zu organisieren und dabei auch gut auf sich zu achten. Hier kann ich zwar Fragen stellen, Retros anbieten, zu einem Termin mehr einladen und im Blick behalten, ob es allen gut geht, aber ich habe weniger Möglichkeiten als im Büro etwas von dieser Verantwortung (mit) zu übernehmen. Damit ist das genau die richtige Richtung und eine tolle Wachstumschance in dieser Zeit!

Neue Impulse in unserem Arbeitsalltag?

Der krasseste Impuls für unseren Alltag war sicher der Wechsel ins Home Office an sich, bei dem unsicher war, wie lange wir dort bleiben werden: neue Umgebung, jede:r mit individuellen persönlichen und privaten Herausforderungen, neue Tools, eine andere Art der Zusammenarbeit und Kommunikation (übrigens auch Team-übergreifend) und mehr Selbstverantwortung.

Für mich persönlich war besonders die Frage spannend, was Remote-Führung von meinem „normalen“ Arbeitsalltag unterscheidet. Sowie: Welche Kniffe gibt’s? Was muss ich wissen, bedenken und wo sind die Fallstricke? Also recherchierte ich, las zahlreiche Artikel, besuchte Meetups dazu und ging in den Austausch mit meinem Netzwerk. Um es kurz zu machen: Ich kam relativ schnell zu dem Schluss, dass die Basics die Gleichen bleiben und sich am Ende gar nicht so viel ändert. Ob im Büro oder Zuhause: Vertrauen ist die Grundlage, auf das bauen wir einen gemeinsamen und klaren Rahmen, wie wir (zusammen) arbeiten wollen – nun eben virtuell, inklusive Regeln für unsere Abstimmung.

Gut aufgestellt waren wir bereits mit unserem Jira-Board für die Aufgaben und den Backlog, womit sich an unserer Planung und Übersicht nichts änderte. Neben unserem montäglichen Team-Meeting zur Wochenplanung lud ich zusätzlich zu einem Daily ein. Allerdings mit dem Wunsch daraus eine kurze Kaffeerunde kurz vor Mittag zu machen: Geht es allen gut? Was gibt’s Neues bzw. was bewegt uns? Braucht jemand Unterstützung? Mal kürzer, mal länger – je nach Bedarf und Wunsch im Team.

Und so probierten wir einfach aus: Was passt und hilft bzw. was müssen wir nochmal überdenken?

Mehr Reflexion im Umgang und der Zusammenarbeit?

Die Reflexion unterstützt unsere monatliche Retro zur Home Office Situation: Was darf bleiben, was wollen wir starten und was stoppen? Übrigens ebenfalls noch neu und in der Experimentierphase. Meine persönlichen TOP3 bisher:

  • Das schönste Bleiben brachte ein Kollege ein, der Home Office kritisch gegenüberstand und jetzt auch nach Corona plant einen Tag die Woche von zuhause zu arbeiten.
  • Das effektivste Starten kam zum Thema Fokus: Input und Anfragen auf (zu) vielen Kanälen – wir brauchen eine Art Kommunikationsplan mit „Erreichbarkeitsregeln“, den wir auch mit anderen Abteilungen teilen, um allen konzentrierte Arbeitsphasen zu ermöglichen, aus denen man nicht rausgerissen wird.
  • Das wehmütigste Stopp war für mich die Team-Entscheidung in der Chatgruppe nicht mehr täglich „Guten Morgen“ und „Tschüss“ zu schreiben – fand ich persönlich eine tolle Geste und nah am Kommen und Gehen des Büroalltags, aber das nur für mich zu machen, ist natürlich Quatsch.

Im Umgang „menschelt“ es natürlich immer mal wieder – ganz wie im Büro und Leben auch. Wobei gerade virtuelle Kommunikation da noch neue Tücken mit sich bringt, denen man sich einfach bewusst sein muss – auch hier lerne ich ständig dazu. Aber wenn alle achtsam sind, offen kommunizieren und im Fall der Fälle einen Fehler eingestehen, sind wir gut aufgestellt.

Und wie geht’s mir damit?

In meinem Teilzeit-Experiment waren die Grenzen von klassischen Arbeitstagen und meinem freien Tag zum Lernen und Wachsen – bewusst – von Anfang an fließend. Auch wenn mein Diensthandy dann keine Priorität hatte, waren es doch meist jobnahe Themen oder berufliche Reflexionen, die an meinem freien Tag auf dem Plan standen. Das blieb auch in der Home Office Zeit erstmal so: Remote-Führung, virtuelle Zusammenarbeit, Mindset und Toolset Fragen – Recherche, Reflexion der Umsetzung oder Retro, Austausch mit dem Netzwerk, weitere Impulse,… Die Themen rissen nicht ab, es taten sich immer mehr Quellen auf und auch die Möglichkeiten sich online weiterzubilden und austauschen wurden immer vielfältiger. In Kombination mit den eh schon viereckigen Augen und langen Tagen, keine Dauerlösung. Deswegen habe ich nach ein paar Wochen entschieden, dass auch ich mehr auf mich achten sollte. Also habe ich angefangen meinen Teilzeit-Tag ab und an für Offline-Zeit zu kapern: Ich habe ein Balkon-Gärtner-Projekt gestartet, mein Aerial-Yoga-Tuch wieder aufgehängt und Bücher ausgegraben, die nichts mit New Work, Digital Leadership und Persönlichkeitsentwicklung zu tun haben. Fokus auch mal auf mich – Selbstverantwortung auch mal selbst (vor)leben!

Auf unsere steile Lernkurve im Team und darauf, wie erfolgreich wir die Veränderung bisher gemeistert haben bin ich total stolz. Der Output zeigt, dass die Produktivität aktuell im Home Office höher ist als im Büro. Und durch die Herausforderungen sind wir, trotz Distanz, auch persönlich ein Stückchen näher zusammengerückt.

Die Kombination aus Führung in Teilzeit und Remote sah gerade in den Anfangswochen immer mal wieder so aus, als sei es unmöglich alles zu schaffen bzw. unter einen Hut zu kriegen… Doch mit der richtigen Haltung, einem bewussten Fokus, ständiger Reflexion sowie einer ehrlichen und offenen Kommunikation darüber ist es möglich und bietet dabei so viele Chancen für Wachstum und Veränderung, was gewinnbringend für alle Beteiligten ist.

Wir haben alle das Beste aus der Situation gemacht und auch jetzt liegt es nur an uns, das was Sinn gibt und funktioniert mit in die Zukunft – und eines Tages auch wieder mit ins Büro – zu nehmen. Es wird sicher noch eine Weile dauern bis das ganze Team wieder vollständig im Büro arbeiten kann und darf. Und es wird hoffentlich zukünftig eine ausgewogene Mischung an Office und Home Office Tagen geben. Aber auf diese Zeit freue ich mich sehr. Denn was mir wirklich, wirklich fehlt sind die Menschen und der persönliche Kontakt, der zwar zu großen Teilen, aber nicht zu 100% digitalisiert werden kann.

Bild von Kathleen Bergmann auf Pixabay