4-Tage-Woche,  Führen in Teilzeit,  Lessons Learned

Zeitmanagement-Learnings einer Teilzeit-Chefin

Wie schaffst Du Deinen Job in 80% der Zeit? Eine Frage, die mir zu meinem aktuellen Lebens- und Arbeitsmodell, einer Vier-Tage-Woche, immer wieder gestellt wird. Und das ist nicht mit einem Patentrezept zu beantworten. Vielmehr ist es das Ergebnis einer Lernreise, auf der ich mich viel damit beschäftigt habe, worauf ich meine Arbeitszeit ver(sch)wende und wie ich führen möchte. Auf der ich viel mit meinem Team ausprobiert habe, was für uns funktioniert. Und auf der ich ganz bewusst mit gängigen Karriere-Grundsätzen und mit Routinen im Tagesgeschäft gebrochen habe.

Zeitfresser Nummer 1: Meetings

Meetings waren und sind bei der Optimierung meiner Arbeitszeit der größte Stellhebel – für alle, die viel Zeit in Meetings verbringen vermutlich keine Überraschung. Nach Blick in meinen Kalender, mit Check meiner Termine auf Sinn und Nutzen sowie nach Austausch dazu in meinem Netzwerk* entstand ein neues Muster: Jede Termineinladung bewusst zu hinterfragen und basierend darauf Meetings konsequent zu reduzieren.

Bei Einladungen, die ich bekomme

  • Kann ich in diesem Termin einen Mehrwert bieten? 
  • Oder gibt es jemanden in meinem Team, der oder die einen größeren Mehrwert einbringen kann als ich?
  • Gibt es für mich einen Mehrwert daran teilzunehmen?
  • Falls Mehrere aus dem Team eingeladen sind: Gibt es Sinn, dass wir alle teilnehmen?

Bei Einladungen, die ich verschicke

  • Was ist mein Ziel – gibt es eine Alternative zum Meeting?
  • Ist die Dauer richtig gewählt?
  • Was muss ich vorbereiten, damit dieses Meeting zielführend und vor allem so kurz wie möglich ist?

In diesem Zuge stelle ich zudem die Meetings auf den Prüfstand, bei denen ich eine “Durchlauferhitzer”-Rolle habe. Sprich: Vor dem Meeting im Team den Status abfragen, um dann nach dem Meeting im Team das Update zu teilen. Hier ist wichtig zu klären, was im konkreten Fall effektiver ist:

    • Die Expert*innen nehmen direkt teil, z.B. an einem Projektmeeting, bei einem Arbeitsgruppentreffen. So geht nichts durch „stille Post“ verloren oder muss im Nachgang noch geklärt werden, weil es weiterführende Fragen gibt. Zudem stärkt das die Sichtbarkeit der Expert*innen in der Organisation. Allerdings geht dies dann von deren produktiver Zeit ab…
    • Daher gibt es in anderen Fällen, z.B. wenn das Thema breiter gefasst ist, noch am Anfang steht oder verschiedene Bereiche tangiert, wiederum mehr Sinn, wenn ich teilnehme und die Informationen dann aufbereite und verteile.

1:1 Meetings, wie z.B. Jour-Fixe, vereinbaren wir in unserem Team individuell. Also ob und in welcher Regelmäßigkeit diese stattfinden – als wöchentlicher Termin oder “auf Zuruf” bei Bedarf. Eben so, wie es für jede*n einen Mehrwert bietet, gebraucht wird oder gewünscht ist und nicht mit der Gießkanne.

Verantwortung (auf)teilen

Ähnliche Fragestellungen habe ich mir auch bezogen auf unser Tagesgeschäft gestellt: Wann werde ich als Führungskraft wirklich gebraucht? Von meinem Team? In den Abläufen? An welchen Stellen bin ich in der Organisation Ansprechpartnerin für unsere Themen und ist das sinnvoll? Wie ist unsere Arbeitsverteilung im Team? Wer hat für was die Verantwortung? Und ist das im Bereich transparent?

Klarheit und Transparenz schafft hier u.a. unser Kanban-Board. Welches unseren Backlog inkl. alle notwendigen Informationen zu den jeweiligen Aufgaben beinhaltet und zeigt, wer aktuell an was arbeitet. Füllen dürfen unseren Backlog alle: Teammitglieder, Kolleg*innen und ich – sobald Bedarfe bekannt sind. Im Team Meeting gehen wir gemeinsam durch: Ist der Backlog vollständig? Sind alle Aufgaben zugewiesen? Gibt es Zielkonflikte? Wer ist verantwortlich? Was steht konkret diese Woche an? Gibt es Klärungsbedarfe? Haben alle, alles was sie für ihre Arbeit brauchen?

Für unsere Kolleg*innen und Schnittstellen bieten wir zusätzlich eine Übersicht außerhalb des Boards an: Wer arbeitet gerade an welchem Produkt, an welchem Projekt? So können ohne Umwege und zusätzliche Recherche alle inhaltlichen Fragen, Status Checks und Meetings direkt geklärt werden bzw. durchlaufen. Bis auf Eskalationen oder Entscheidungen zu Prioritäten bin ich damit raus, wenn ich nicht selbst für eine Aufgabe verantwortlich bin. 

Ähnlich handhaben wir strategische Themen und Verbesserungen. Unsere Basis ist unsere Vision, die wir vor etwa drei Jahren definiert haben: Was ist uns an unserem Output wichtig, wohin wollen wir uns als Abteilung entwickeln und wie wollen wir als Team zusammenarbeiten? So beginnt jedes neue Jahr mit einem Ziele-Workshop, bei dem wir unsere Vision mit dem aktuellen Stand abgleichen: Wie kommen wir unserer Vision ein Stück näher? An was wollen wir dieses Jahr dafür konkret arbeiten? Wo tut es (besonders) weh, was brennt? Nach der Priorisierung leiten wir Aufgaben ab, die direkt verteilt werden: An Arbeitsgruppen oder Einzelpersonen, die neben dem Tagesgeschäft übers Jahr daran arbeiten. Den Fortschritt tracken wir in Retros, die quartalsweise stattfinden.

Ständige Begleiter: Selbstklärung und Selbstdisziplin

Doch funktioniert das auch? Für mein Team, bei dem mir von Anfang an wichtig war, dass mein Arbeitsmodell nicht auf ihre Kosten geht? Für das Unternehmen, für das ich arbeite? Oder rauchen Themen ab, weil ich es nicht organisiert oder koordiniert bekomme? Etwas verpasse? Und auch für mich selbst: Läuft es so, wie ich arbeiten, wie ich führen möchte?

Hierfür plane ich regelmäßig Zeit für Reflexion und Retros ein. Hole mir das Feedback aus dem Team und von meinem Vorgesetzten, damit ich weiß, wo ich stehe und bei Bedarf nachjustieren kann. Denn nicht jedes Konzept, jede Idee fliegt in der Organisation, in unserem Team, für ein Teammitglied oder mich. Es ist wichtig zu erkennen oder auf Basis einer Rückmeldung anzuerkennen, dass etwas nicht funktioniert, nicht in den Arbeitsalltag passt und deswegen verändert oder eben wieder eingestellt werden muss. Oder ein neuer Weg her muss, wir weiter ausprobieren müssen.

Doch unterm Strich schaufeln das Eliminieren von Zeitfressern und das Teilen von Verantwortung einiges an Zeit frei. Hinzu kommt noch das Potential hinter dem Optimieren eigener Abläufe durch Zusammenfassen von Aufgaben, Aufbereiten und Teilen regelmäßig angefragter Infos sowie eine routinierte Tagesplanung mit klarer Struktur und festen Prios.

Aber Achtung Falle: Wo etwas frei wird, da stehen schnell die nächsten ToDos und Ideen auf der Matte. Eine neue Arbeitsgruppe im Bereich, eine neue Projektidee, Sonderaufgaben vom Chef – und das ist wirklich unglaublich verlockend! Auch wenn ich an meinen Arbeitstagen nie auf die Uhr schauen werde (“Stunden zählen” entspricht mir nicht), möchte ich dennoch vermeiden durch übermäßige Überstunden meinen freien Tag nur “umzuverteilen” auf die vier Arbeitstage. Das wäre Arbeitsverdichtung und damit auch eine Milchmädchenrechnung für mich, solange dieses Modell durch Teilzeit umgesetzt und mit einem reduzierten Gehalt verbunden ist.

An dieser Stelle muss ich bei mir selbst anfangen. Was eine hohe Selbstdisziplin erfordert! Und was gegen alles spricht, auf das nicht nur die heutige Arbeitswelt, sondern auch ich persönlich sozialisiert bin: Die Chefin kommt als erstes und geht als letztes – Präsenzkultur in Reinkultur. Wer Überstunden macht, qualifiziert sich für den nächsten Karriereschritt – das gehört einfach dazu! Sonderaufgabe aus der Chefetage? Die kann man unmöglich ablehnen! Wenn Du was auf Dich hälst, musst Du in dieser Arbeitsgruppe unbedingt dabei sein! Wie, Du weißt das nicht? Bist Du jetzt die Chefin von der Truppe oder nicht?

Einfach mal mutig sein und es anders machen!

Es sind Muster, die ich breche. Risiken, die ich in Bezug auf meine Karriere, eingehe. Ist Teilzeit die Sackgasse? Bin ich damit raus aus dem Spiel, dem System, dem Karriere-Zirkus? Wird es meine Arbeit, meine Erfolge überschatten oder in den Hintergrund stellen, weil ich einen Tag frei habe, nicht im Haus bin? An meinen freien Mittwochs nicht zu Meetings komme? Auch mal nein sage und nicht mehr überall präsent und dabei bin? Bin ich eine schlechte Chefin, weil ich das Tun in meinem Team nicht so “monitore”, dass ich jederzeit eine konkrete Aussage zum Status aller unserer laufenden Themen machen kann?

All das musste (und muss ich teilweise auch heute noch) erstmal und immer wieder mit mir selbst aushandeln. Wie mutig bin ich? Wie viel Risiko gehe ich ein? Und dann, wenn ich gerade für mich klar bin, findet sich garantiert jemand, der mich auch nochmal „offiziell“ auf mögliche Konzequenzen aufmerksam macht – die übrigens beste Challenge für getroffene Entscheidung!

Aber genau das war, rückblickend betrachtet, entscheidend für den Erfolg meiner Lernreise. Die Einstellung, Dinge einfach mal anders zu machen – auch, wenn diese gegen Konventionen, übliche Routinen im Tagesgeschäft und gängige Karriere-Grundsätze gehen. Auch, wenn es die eine oder andere Irritation verursacht oder mir mal einen provozierenden Kommentar einbringt.

Führen in Teilzeit war der Ausgangspunkt meinen Arbeitsalltag bewusst zu hinterfragen und auf den Kopf zu stellen. Mehr aus meiner Zeit zu machen und meine Arbeitszeit sinnvoller für das Unternehmen einzusetzen. Etwas zu optimieren geht eigentlich immer, doch um tatsächlich 20% Zeit freizuschaufeln muss ich ein Stück weit unkonventionell sein, neue Herangehensweisen und Formate ausprobieren und Muster brechen.

Hätte ich diese Lernkurve auch in Vollzeit erreichen können? Garantiert, aber Teilzeit hat dies nicht nur initiiert und beschleunigt, sondern ermöglicht auch, dass ich die freien Zeit, meinen freien Tag für persönliche Weiterentwicklung, Networking und meine Herzensthemen nutzen kann.

Auf den Punkt gebracht
So kannst Du Dir freie Zeit und neuen Raum schaffen – völlig unabhängig vom Arbeitzeitmodell:
  • Hinterfrage alle Meetings (z.B. mit einer Checkliste wie oben im Beitrag) und reduziere die Zeit, die Du in Meetings verbringst auf ein minimales, aber sinnvolles Maß.
  • Prüfe die “Durchlauferhitzer”-ToDos. Möglicherweise ist es an manchen Stellen effektiver, wenn sich die Expert*innen direkt zusammen setzen.
  • Checke Deine Anfragen auf regelmäßige Rückfragen: Was kannst Du tun, um diese zu reduzieren oder schnell zu beantworten? z.B. FAQ pflegen, Prozessdoku optimieren, Bekanntheit der Info-Ablage steigern.
  • Schaffe Transparenz zu Verantwortlichkeiten im Team, benötigten Infos und Status aktueller Aufgaben, um Umwege und zusätzliche Kommunikation zu vermeiden.
  • Wähle Aufgaben, zu denen Du Dich freiwillig meldest, mit Bedacht: Hast Du wirklich die Kapazität dafür? 
  • Sei ehrlich zu Dir selbst: In welchen Projekten, Arbeitskreisen und Meetings bist Du nur, weil es sich so gehört, schon immer so war oder Du glaubst nicht absagen zu können – diese aber weder Sinn geben noch Mehrwert schaffen? Kannst Du für Dich das Risiko eingehen und „aussteigen“?
  • Blocke die neugewonnene Zeit in Deinem Kalender und gehe achtsam mit ihr um. Es war hart diesen Freiraum zu schaffen – jetzt gilt es diesen zu bewahren. Klare Prios, für was diese Zeit bestimmt ist und definierte Regeln, für was diese umgeplant werden darf, helfen dabei.
Nachtrag
Auf Twitter wurde ich gefragt, ob das nicht die falsche Fragestellung sei, bei einer Reduktion von 40h auf 32h die gleichen Ergebnisse zu erreichen statt Prioritäten und Aufgabenteilung anzupassen sowie Erwartungshaltungen der Umwelt zu kalibieren (zum Original-Tweet gehts hier). Daher möchte ich folgenden Nachtrag zu meinem Beitrag ergänzen:
Das ist ein guter Punkt. Und ist, wie in der Einleitung gestreift, auch – zu recht – kontrovers diskutiert rund um die Experimente zur Vier-Tage-Woche. Doch das Thema ist vielschichtig – wie die Arbeitswelt. Ich wollte eine bestehende Führungsrolle, ohne Jobsharing Option, weiter in Teilzeit machen – also habe ich Zeit optimiert. Wäre das auch in „Vollzeit“ sinnvoll gewesen? Auf jeden Fall! Schließlich möchte ich meine Arbeit effektiv gestalten, meine Arbeitszeit für meinen Arbeitgeber optimal einsetzen. Das freigewordene Potential als freien Tag zu nutzen, ist dann eine persönliche Entscheidung. Mein Beitrag ist kein Plädoyer für Arbeitsverdichtung, sondern für eine sinnvolle(re) Nutzung von Zeit – auch unabhängig von Arbeitszeitmodellen. Potential freischaufeln ermöglicht auch mehr Purpose-Orientierung, Deep Work Phasen und Flexibilität. [23.02.2022]

* An dieser Stelle nochmal vielen Dank an Markus Mattern für den Input zu Meetings sowie seine Zeit. Sowie an Mareike Lüken, die mit mir dem Meetingalltag auf den Zahn gefühlt hat. Aus den Erkenntnissen haben wir zudem eine interne Kampagne gestartet, um auf das große Zeitpotential aufmerksam zu machen.

Hinweis zum Wording: In diesem Beitrag verwende ich die Begriffe Vollzeit und Teilzeit, da diese die Umsetzung meines Modells in der Arbeitswelt abbilden. Dies ist nicht nur in meiner Social Media Bubble heiß diskutiert, auch ich plädiere dafür Arbeitszeitmodelle zu überdenken. Über meine ersten Erfahrungen hatte ich 2020 den Beitrag Nennt es nicht Arbeitszeitmodell… geschrieben – ein Auszug:

Und so habe ich auch das klassische Wort ArbeitsZEITmodell regelrecht
fürchten gelernt. Es ist, zumindest in meinem Kontext, irreführend und
entspricht überhaupt nicht dem, wie ich arbeiten möchte und Arbeit
definiere – übrigens weder in Teilzeit, noch in Vollzeit. Ich denke, es
ist an der Zeit alte Glaubenssätze, die damit verknüpft sind, ernsthaft
zu hinterfragen: Was sagen Wochenstunden und Arbeitszeit über Leistung und Ergebnis aus? Sind volle Stundenkonten oder Präsenz wirklich aussagekräftige Messwerte für gute Arbeit? Und ein zeitgemäßer Ausgangswert fürs Gehalt? Und wieso fühlt sich Teilzeit stellenweise immer noch wie ein Makel an – für eine Abteilung, für die Vita?